Lautes Hämmern an der Tür riss mich aus dem Schlaf. Eilig schlüpfte ich in meine Kleidung und schaute nach, wer sich da so nachdrücklich bemerkbar machte. Das Stimmengewirr mehrerer Männer drang durch das massive Holz der Tür.
Instinktiv erstarrte ich. Die noch frische Erinnerung an die Schläger, die sich in den Laden meiner Meisterin drängten, während ich mich in den dunkelsten Winkel meiner Kammer versteckte, schnürte mir die Kehle zu. Einen Moment lang wollte ich vorgeben, nicht zu Hause zu sein. Dann nahm ich mich zusammen. Ich war nun die Hexe von High Rannoc. Ich hatte eine Aufgabe zu erfüllen. Ich zog den Riegel zurück und öffnete die Tür.
Die vier Männer verstummten. Dann trat einer von ihnen, ein schlaksiger Jüngling in einer wollenen Robe und einem silbernen Medaillon um den Hals, vor und verbeugte sich respektvoll.
»Verehrte Hexe, bitte verzeihen Sie uns die Störung zu der frühen Stunde.« Tatsächlich erhellte sich der Horizont im Osten gerade erst. Vom Sonnenaufgang war noch nichts zu sehen. »Aber wir befinden uns in einer misslichen Lage und brauchen Ihre Hilfe.«
Ja, das war ohne Zweifel ein Student einer der magischen Akademien. Diese brauchten immer zehn Worte, wo eins genügen würde.
»Ihr Ruf als Heilerin eilt Ihnen voraus und wenn es Ihnen möglich ist, unserem Gefährten zu helfen, würden wir es sehr zu schätzen wissen. Ich fürchte, er hat sich ein Leiden oder möglicherweise einen Fluch zugezogen, dessen Beseitigung meine bescheidenen Fähigkeiten übersteigt.«
Ich musterte die restliche Abenteurer-Gruppe über die Schulter des Magier hinweg. Im Gegensatz zu dem Burschen trugen die drei anderen Lederrüstungen. Zwei von ihnen waren sich so ähnlich, dass sie Brüder sein mussten. Der dritte hatte sogar noch ein Kettenhemd angelegt. Ein Schmiedehammer über der Schulter und ein Ring mit Schlüsseln und Werkzeugen am Gürtel ließen mich vermuten, dass dies ihr Fallenspezialist war. Obwohl nicht so groß gewachsen wie die anderen, schleppte er genug Muskelpakete mit sich herum, dass er vermutlich jede Tür und Truhe, die sich nicht mit seinem Werkzeugen öffnen ließen, problemlos mit seinem Hammer zerschmettern würde. Von den Brüdern trug der eine einen Langbogen und Köcher über die Schulter und hatte seinen Bruder am Oberarm gepackt. Dieser presste einen großen, gefüllten Sack mit beiden Armen an die Brust und starrte finster abwechselnd mich und seine Gefährten an.
»Kommt erst mal rein. Dann könnt ihr mir erzählen, was passiert ist.«
Drinnen schürte ich das Feuer und setzte Wasser für einen Tee auf. Es gab einen peinlichen Moment, als ich die Becher auf den Tisch stellte. Schneller als das Auge folgen konnte, schnappte der finster blickende Mann sie und stopfte sie in den Sack. Der verlegene Magier rang sichtlich um die richtigen Worte. Der Fallenspezialist nickte mir zu.
»Siehste, das ist das Problem. Seit ein paar Tagen sammelt er alle Trinkgefäße, die er finden kann. Egal ob wertvoll oder billiger Plunder. Erst haben wir gelacht. Dann hat er sogar unsere eigenen Becher geklaut und gibt sie nicht wieder her. Das ist nicht normal.«
Ich seufzte. Ich hatte da so eine Ahnung. Trotzdem befragte ich die Abenteurer, wann das Verhalten begonnen hatte und checkte den Puls und die Augen des Patienten, der Terim genannt wurde. Sein Bruder war Morim. Der Fallenspezialist war ein Schmiedegeselle namens Fergus, den die Abenteuerlust gepackt hatte und der Magier hieß Colin. Sie waren schon öfter gemeinsam unterwegs gewesen und erkundeten derzeit Hero’s Hollow.
»Es gab bisher nichts Außergewöhnliches. Keine Ahnung, wo sich mein Bruder das eingefangen haben könnte. So lange waren wir auch noch nicht dort. Wir brachen erst nach dem Frostfall Festival auf,« sagte Morim.
Ich drehte mich zu ihm um. »Ihr habt am Festival in High Rannoc teilgenommen?«
Er nickte. Hmm. Ob da ein Zusammenhang mit Jonas Erkrankung bestand? Sie konnte spontan auftauchen. Aber zweimal Fälle so kurz hintereinander?
»Es ist auf jeden Fall die Drachenkrankheit. Ich werde die Zutaten besorgen müssen. Ihr könnt hier warten.«
Zumindest wusste ich schon, wo ich die Zutaten finden konnte. Ich zögerte kurz und packte dann das Fläschchen mit der abgekochten Schockflüssigkeit ein. Falls mir wieder ein Pfeil um die Ohren flog oder sonst etwas passierte, wollte ich es dabei haben.