Erschöpft von all der Aufregung und Anstrengung wollte ich nur abends nur noch ins Bett, doch dann fand ich in der Schlafkammer unter dem Dach des alten Hexers Journal – und seinen Brief an mich.
»Wenn du dies hier liest, werde ich wahrscheinlich vermisst … oder bin tot. Hoffentlich nur vermisst.«
Nach dieser schockierenden Einleitung hätte ich eine Erklärung erwartet. Aber nein, er erteilte mir nur den Auftrag, mich an seiner Stelle um die Einwohner von High Rannoc zu kümmern.
Ich habe sein ganzes Journal durchgeblättert, aber keine Hinweise gefunden. Lediglich Rezepte für Tränke und Salben, die mir zum größten Teil vertraut waren, und Notizen, wo in der Umgebung die verschiedenen Reagenzien zu finden waren. Diese werden mir sehr in der kommenden Zeit nützlich sein, wenn ich hier auf mich allein gestellt arbeiten muss. Natürlich helfe ich High Rannoc, aber ich will auch das Rätsel um Rorys Verschwinden lösen.
Danach konnte ich lange nicht einschlafen. Ich lag wach, lauschte dem heulenden Wind, der an den Fensterläden rüttelte und fragte mich, was passiert war. Welche Bedrohung konnte einen erfahrenen alten Hexer verschwinden lassen oder gar töten?
Aus Ashiras High Rannoc Tagebuch, Jahr 1
***
Den nächsten Tag fand ich mich in High Rannocs Taverne ein. Der Copper Fox war ein erstaunlich geräumiges, zweistöckiges Gebäude mit angrenzenden Stallungen. Die Besitzerin Annie verwickelte mich sofort in ein freundliches Gespräch über meine Ankunft in High Rannoc. Sie ist eine ehemalige Abenteuerin, eine große Frau, die immer noch so massiv und muskelbepackt war wie zu den Zeiten als sie Streitaxt und Zweihänder schwang. Sie lachte amüsiert, aber nicht unfreundlich über mein Ungeschick im Wald und bot mir die Dienste einer ihrer beiden Söhne an, mich auf den Ausflügen zu begleiten. So gerne ich auf dieses Angebot zurückkommen würde, meine kargen Geldmittel erlauben es mir nicht, sie anzuheuern.
Als ich sie fragte, ob es hier ein Problem mit Banditen gäbe, schüttelte sie den Kopf.
»Wir haben hier häufig mal durchziehende Abenteurer-Gruppen, die in die Moonbreaker Mountains wollen und in die Höhlen von Hero’s Hollow. Sie übernachten hier und decken sich mit Vorräten ein. Wir verdienen gut an ihnen. Weiter westlich im Moor lebt ein Goblinstamm, aber man bekommt sie kaum zu Gesicht. Ich wüsste nicht, wer sich das hier auch trauen würde. Wir wissen uns zu verteidigen und der alte Rory kümmerte sich um solche Sachen, bevor es zum Problem wurde.«
Vielleicht hatte Rory versucht, sich darum zu kümmern und das war ihm zum Verhängnis geworden.
Ich zeigte Annie die Pfeilspitze, die ich aus meinen Oberschenkel entfernt hatte, und beschrieb ihr die gestrige Begegnung.
»Das klingt nach Will dem Schweinezüchter. Er sammelt auch Trüffel in der Gegend und wollte dich wohl abschrecken, sie ihm streitig zu machen.«
»Trüffel haben keine medizinischen oder magischen Eigenschaften. Sie sind vor mir sicher.«
Annie lachte. »Inzwischen ist deine Ankunft auch im Dorf bekannt. Wer will sich schon einen Fluch einhandeln?«